Du fragst dich bestimmt, ob der Mann neben dir gerade wirklich mit einem Fingerschnipsen eine Ampel auf Grün geschaltet hat. Ja, das hat er. Wahrscheinlich sind dir auch die Leute schon aufgefallen, die im Restaurant früher bedient werden, obwohl sie später gekommen sind. Es wird sogar von Menschen berichtet, die durch eine Wischbewegung mit der Hand eine U-Bahn, die ihnen gerade vor der Nase weggefahren ist, wieder in den Bahnhof zurückholen können. Das alles hat nichts mit Zauberei zu tun, das sind Levelfähigkeiten.
Die Einstufung aller Menschen in verschiedene Level geht auf eine eigentlich harmlose Subroutine der Programmierer bei QualityPartner zurück. Um die Masse an Profilen schneller auf passende Treffer filtern zu können, wurde jedes Profil eingestuft. Für die heterosexuelle Level-16-Frau zieht das System seitdem nur noch heterosexuelle Level-16-Männer in Betracht. Als die Marketingabteilung davon erfuhr, sorgte sie sofort dafür, dass diese Levelzahlen sichtbar gemacht wurden. Und tatsächlich stürzten sich die Nutzer mit Begeisterung in den Wettkampf um ein immer höheres Level.
Heute ist die RateMe genannte Abteilung für mehr Gewinne verantwortlich als der Rest von QualityPartner. Der Name beruht übrigens auf einem Missverständnis. Ein Mitarbeiter von QualityPartner hatte auf seiner persönlichen Radiostation einen alten Rocksong gehört, in dem der Sänger einen Freund dazu aufforderte, ihn einzustufen. „Rate me, my friend!“ Erst als QualityPartner für RateMe Werbung machte und sie mit dem Song unterlegte, wiesen findige Zuhörer darauf hin, dass Kurt Cobain keineswegs „Rate me“ (Bewerte mich) sondern „Rape me“ (Vergewaltige mich) sang. Den Siegeszug von RateMe konnte dieser kleine Fauxpas aber nicht aufhalten.
Es ist im Prinzip ganz simpel. Man meldet sich für RateMe an, gibt dem System durch einen Kuss Zugriff auf seine Daten und wird gleich darauf eingestuft. Gerüchten zufolge ist der niedrigste Rang übrigens Level 2. Anscheinend wird keiner auf Level 1 eingestuft, damit selbst Level-2-Menschen noch jemanden unter sich glauben. Die Sorge, tiefer fallen zu können, wird als nützlich betrachtet. Menschen, die denken, sie hätten nichts mehr zu verlieren, sind gefährlich. Das höchste Level ist 100. Wobei es vermutlich auch keine Level-100-Menschen gibt, denn selbst Level-99-Menschen sollen glauben, dass an ihnen noch Optimierungsbedarf bestehe und dass sie noch jemanden über sich haben.
Anfangs bot RateMe nur eine simple Levelanzeige, inzwischen kann man seine Werte aber in zweiundvierzig verschiedenen Unterbereichen ansehen, die alle ins Gesamtlevel einfließen. Diese Bereiche sind: Flexibilität, Belastbarkeit, Innovativität, Kreativität, Teamfähigkeit, Begeisterungsfähigkeit, Geschmack (sehr umstritten), Vernetzung, Alter, Gesundheit, Wohnort, Job, Einkommen, Vermögen, Beziehungen, Sozialkompetenz, Freude an der Arbeit, Bildung, IQ, EQ, Zuverlässigkeit, Sportlichkeit, Produktivität, Humor (auch umstritten), Sex-Appeal, Body-Mass-Index, Ausstattung, Pünktlichkeit, Freunde, Gene, familiäre Krankheitsgeschichte (wer möchte schon mit jemandem zusammen sein, der wahrscheinlich Krebs bekommt?), Lebenserwartung, Anpassungsfähigkeit, Mobilität, Kritikfähigkeit, Auslandserfahrungen, Antwortrate und -geschwindigkeit in sozialen Netzwerken, Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Konsumangeboten, Stressresistenz, Disziplin, Selbstvertrauen, Tischmanieren.
Angeblich gibt es noch achtundfünfzig weitere Bereiche, diese bleiben aber, genau wie die Gewichtung der Level untereinander, ein Geschäftsgeheimnis von QualityPartner.
100 Punkte trennen ein Level vom nächsten. Dies ermöglicht es, sich kontinuierlich selbst zu optimieren. Durch gezielte Steigerungen in Einzelbereichen, zum Beispiel Sportlichkeit, ist es möglich, sein Gesamtlevel steigen zu lassen, was in einer Spiralbewegung dazu führt, dass sich fast automatisch externe Faktoren wie monatliches Einkommen, Arbeitsstelle und Kontostand verbessern. Natürlich kann einen die Spirale mindestens genauso schnell auch nach unten tragen.
Die Leveleinteilung ist ungemein praktisch, und verschiedenste Institutionen bezahlen RateMe inzwischen, um an die Leveldaten ihrer Mitarbeiter, Kunden oder Bürger zu kommen. Banken vergeben Kredite in Abhängigkeit vom Level. Arbeitgeber benutzen Levelangaben für präzise Stellenausschreibungen. (Interessanterweise lauten 81,92 Prozent aller Stellenanzeigen in QualityLand übrigens fast gleich und zwar ungefähr so: „Suchen dringend IT-Techniker Level 16 oder höher!“)
Auch öffnen viele Geschäfte, Restaurants und Clubs ihre automatischen Türen nur für Menschen mit einem gewissen Mindestlevel. Das eigene Level bestimmt sogar, mit welcher Intensität die Polizei ermittelt, falls man leider ermordet worden ist.
Firmen, Institutionen und sogar der Staat bieten viele Boni für Menschen in höheren Leveln, um die stetige Selbstoptimierung ihrer Mitarbeiter, Kunden oder Bürger zu belohnen. Diese Levelfähigkeiten sind ungemein begehrt und der ganze Stolz ihrer neuen Besitzer. Damit aber keiner durch die Stadt rennt und sinnlos Ampeln auf Grün schnipst, sind viele Levelfähigkeiten an das Ausgeben von sogenanntem MANA gebunden. Je höher das eigene Level, desto mehr MANA steht einem zur Verfügung. Zwingt man zum Beispiel einen Aufzug sofort zur eigenen Etage zu fahren, kostet das 32 MANA. Diese 32 MANA sind aber nicht verloren. Der eigene Vorrat regeneriert sich nach einer Abklingzeit wieder. Je höher das eigene Level, desto schneller. Andere Levelfähigkeiten wiederum gewähren einem einfach neue Rechte. So werden Menschen über Level 16 zum Beispiel niemals gebeten, Pakete für ihre Nachbarn anzunehmen.
Menschen mit einstelliger Levelzahl werden vom Staat übrigens offiziell als hilfsbedürftig eingestuft. Inoffiziell spricht man einfach von den Nutzlosen. Und es gibt sehr viele Nutzlose in QualityLand.
Auf unserem Portal findest du eine interaktive Karte von QualityLand, auf denen Bezirke, in denen die Bewohner im Durchschnitt eine einstellige Levelzahl haben, rot eingefärbt sind. Von diesen Bezirken solltest du dich fernhalten. Als Tourist kannst du übrigens dein Visum durch eine temporäre Levelzahl upgraden. Wenn du vorhast, exklusivere Nachtclubs zu besuchen, informiere dich bitte über deren geforderte Mindestlevel. Weil du die Qualitätssprache nicht ohne Akzent sprechen kannst und ein wenig ausländisch aussiehst, raten wir dir übrigens, mindestens das Geld für Level 10 auf den Tisch zu legen, denn in QualityLand darf die Polizei alle Menschen unter Level 10 verdachtsunabhängig anhalten und durchsuchen. Da die Polizisten auf Provisionsbasis bezahlt werden, tendieren sie dazu, auch etwas Beanstandenswertes zu finden, wenn sie dich erstmal angehalten haben.
Ben Coder
Wir spielen immer mit der ganzen Familie! Ein Riesenspaß! Mein Großvater sagt, er hatte nicht mehr so viel Fun seit Command & Conquer: Red Alert. Ihm fehlen eigentlich nur die Tesla-Spulen, was auch immer das sein soll.